Freitag, 21. August 2009

Ausgetwittert


Ausgerechnet in Japan, der modernsten Internetnation der Welt, ist Online-Wahlkampf so gut wie verboten.

In Japan hätte Barack Obama wohl nie eine Wahl gewonnen. Durch einen gut organisierten Internetwahlkampf hat er in den USA Millionen Menschen als Wähler und Millionen Dollar als Spenden mobilisiert. Die Kandidaten für die japanischen Unterhauswahlen am 30. August hingegen dürfen seit dem offiziellen Wahlkampfbeginn am Dienstag weder twittern, noch bloggen oder gar ihre Internetseiten auf den neuesten Stand bringen. Stattdessen fahren sie wie vor 30 Jahren mit Lautsprecherwagen durch ihre Stadtteile, schütteln Hände, verteilen Flugblätter, kleben Plakate und halten auf Bierkisten stehend Reden vor ein paar Dutzend Passanten.

Schuld daran sind archaische Regeln im 59 Jahre alten Wahlgesetz. Die verbieten, nach Wahlkampfbeginn Materialien zu verändern, die den Namen von Kandidaten tragen, sprich auch Blogs und Internetseiten. Auch die Verteilung von gedruckten Material ist streng reglementiert. So darf jeder Volksvertreter in seinem Wahlkreis 70000 Flugblätter verteilen, die alle einen speziellen Stempel tragen müssen.

„Die Regeln sorgen dafür, dass die Hürde für kleine Parteien und unabhängige Kandidaten sehr hoch gelegt und die regierende Liberaldemokratische Partei bevorteilt wird“, schimpft der Japan-Experte Tobias Harris, der in den Oberhauswahlen im Jahr 2007 für den damaligen Spitzenpolitiker der oppositionellen Demokraten Keiichiro Asao den Wahlkampf mitorganisiert hat. Reiche Kandidaten oder Kandidaten großer Parteien können ein größeres Team beschäftigen und damit mehr Menschen erreichen. Mehrere zig tausend bis hunderttausend Euro kann eine Wahlkreiskampagne verschlingen.

Der Oberhausabgeordnete Asao kann ein Lied davon singen. Heute bewirbt er sich gegen den Willen seiner Partei um einen Sitz im einflussreicheren Unterhaus und wurde dafür aus der Partei geworfen. Anders als bei der letzten Wahl muss er als Mitglied der Splitterpartei „Minna no to“ (Partei für alle) die Wahlkampfkosten selber berappen.

In seiner Not hat er das Internet entdeckt. Bis Montag konnte er mit wenig Aufwand mehr Menschen in seinem Wahlkreis in der Präfektur Kanagawa erreichen als mit den teuren Postern und Flugblättern. Jeden Auftritt übertrug der 45-jährige Politiker per Video live im Internet und tippte auf seinem iPhone zig kurze Twitter-Nachrichten pro Tag. „Ich habe vor zwei Wochen mit dem Twittern angefangen und schon 2000 Menschen, die meine Nachrichten verfolgen“, sagt er. Doch nun hat er ausgetwittert.

Auch die großen Parteien stöhnen inzwischen über das Gesetz. Sie können zwar ihre Internetseiten updaten. „Aber wir müssen sehr aufpassen, die Regeln nicht zu verletzen“, sagt ein Mitglied des Wahlkampfteams der Demokraten. Die Demokraten setzen sich bereits seit Jahren vehement dafür ein, Internetwahlkampf zuzulassen.

Wahrscheinlich können sie ihre Forderung bald umsetzen. Laut Meinungsumfragen könnten sie den seit 1955 fast ununterbrochen regierenden Liberaldemokraten eine historische Niederlage zufügen. Dann hätte bei der nächsten Wahl auch ein japanischer Obama die Chance, die Wähler zu begeistern.

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